Spitzen Smartphone mit leichten Macken
Nach intensiver zweitägiger Benutzung möchte ich mein erstes persönliches Fazit zu diesem momentanen Android-Flaggschiff ziehen. Da es bereits gefühlte 10 Millionen von Berichten über das Handy an sich und die Software gibt, möchte ich meine persönlichen Eindrücke schildern, die meinen persönlichen Vorlieben zugrunde liegen.
Meine Vorfreude auf das Gerät war unglaublich, da ich bisher noch nie ein offizielles Android-Flaggschiff der neuesten Generation so kurz nach dem Erscheinungszeitpunkt besessen habe. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen, besonders da es in bisher erschienenen Tests meistens sehr gut abgeschnitten hat. An Verpackung und Inhalt findet sich soweit nichts besonders erwähnenswertes: Enthalten in dem stabilen, quaderförmigen Karton sind das Smartphone, In-Ear-Kopfhörer, ein USB zu Micro-USB-Kabel, ein Reisestecker zum Anschliessen des USB-Kabels an die Steckdose und je eine Kurzanleitung in Deutsch und Englisch. Hier hätte ich mir von einem Flaggschiff mehr erwartet, beispielsweise eine Hülle.
Vom Äußeren her macht das Galaxy Nexus echt was her: Durch das Fehlen von Hardwaretasten auf der Displayseite wirkt die Front wie aus einem Guss. Der Rahmen ist aus Aluminium (soweit ich das fühlen kann), die Front komplett mit Glas bedeckt (kein Gorilla-Glas, trotzdem sehr kratzfest), die Rückseite besteht aus dem aus extrem weichen Plastik gefertigten Akkudeckel. Die Verarbeitung würde ich durchwegs als "sehr gut" bezeichnen, und auch die weit verbreitete Kritik an dem weichen Plastikdeckel kann ich nicht teilen, denn das weiche Plastik sorgt für Griff, außerdem schnappt es zuverlässig und passgenau ein und kann sich nicht von allein ablösen. Der einzige Kritikpunkt ist das hakelige Einsetzen des Akkudeckels: Es ist ordentlich Druck nötig, um ihn vollständig einrasten zu lassen.
Das Display ist im Moment eine Klasse für sich: Der erste Wow-Moment bietet sich schon beim Einschalten des Telefons. Die Bootanimation besteht aus sehr vielen, sich drehenden Quadraten in Google-Farben, und die weiß der Bildschirm sehr gut darzustellen. Die Farben sind klar und deutlich und haben den Blaustich, noch aus der Kinderstube einiger AMOLED-Displays, endlich hinter sich gelassen. Mit einer Auflösung von 1280x720 ist es das erste Smartphone in der Größe, das eine so hohe Auflösung zu Stande bringt. Mit 315 DPI sind die Pixel selbst bei genauem Hinsehen kaum noch zu erkennen, was sich besonders in einer sehr schön zu lesenden Schrift bemerkbar macht. Im Zusammenspiel mit dem guten Prozessor macht das Surfen verdammt Spaß! Selbst auf großen Webseiten behält man einen guten Überblick. Was mir jedoch nicht sehr gefallen hat, ist die Ausleuchtung des Displays. Besonders bei gleichmäßigen grauen Flächen sieht es so aus, als ob jeder Punkt in einer anderen Helligkeit leuchtet. Qualitativ hochwertige PNG-Bilder beispielsweise sehen dadurch aus, als ob sie JPEG-Artefakte aufweisen würden. Schade!
Die Ausstattung an sich lässt kaum zu wünschen übrig, die genauen Spezifikationen können ja hier im GH-Eintrag nachgelesen werden. Viel kritisiert ist vielerorts der Lagesensor, dieser reagiere nur sehr träge. Das stimmt bei der Verwendung in Android-Anwendungen (z.B. beim Browser oder im Menü). Da ich jedoch jetzt schon ungefähr ein Dutzend Spiele ausprobiert habe, die den Lagesensor verwenden, und diese flüssig und ohne Verzögerung funktionieren, denke ich mal, dass dies ein Problem der Software ist und hoffentlich im nächsten Update behoben wird. Ein Punkt, an dem sich bekanntermaßen die Geister streiten, ist die Beschränkung auf 16 GB (ein SD-Karten-Slot ist nicht vorhanden). Mir persönlich reichen die 16 GB dick, doch genauso gibt es Nutzer, für die das ein K.O-Kriterium wäre. Doch eine Sache stört mich persönlich gewaltig: Kein FM-Tuner! Mein erster Gedanke, dass einfach ein Programm "vergessen" wurde, erwies sich nach ein wenig Suche auf Google leider als falsch: Die Hardware dazu ist nicht vorhanden. Und das nicht nur ausnahmsweise, sondern serienmäßig. Da ich persönlich sehr gerne über mein Handy Radio höre, ist das ein dicker Minuspunkt, den sich ein Handy in der Preisklasse eigentlich nicht leisten dürfte. Weiter bei einem Flaggschiff der höheren Preisklasse zu bemängeln ist die Kamera. Ich bin definitiv kein Freund hoher Megapixel-Anzahlen, da die Qualität durch eine höhere Auflösung bei gleichbleibender Sensorgröße leidet, doch wenn man schon auf 5 MP zurückgreift (anstatt wie beim SGSII z.B. auf 8), dann sollte wenigstens die Bildqualität verbessert werden. Während unter Naturlicht bei ausreichender Beleuchtung noch gute Ergebnisse erzielt werden (natürliche Farbgebung, scharfe Kanten, wenig Rauschen), wird eine niedrige Belichtungszeit bei schummeriger Beleuchtung nur durch einen vergleichsweise hohen Rauschfaktor erreicht.
Nun zur Software: Wer bisher auf einem Android 2.x-Smartphone unterwegs war, wird sich mit Sicherheit erst einmal an das neue Design gewöhnen müssen. Das ganze System wirkt nun sehr viel aufgeräumter und leerer, auch wenn sich an der Ausstattung nichts grundlegendes geändert hat. Einige Optionen findet man erst nach einiger Suche, doch sobald man sich an die neue Anordnung gewöhnt hat, geht alles (nicht zuletzt wegen der 1,2 Ghz-CPU (die übrigens von 1,5 Ghz runter getaktet ist)) ziemlich flott von der Hand. Doch perfekt ist das Zusammenspiel von Hardware und Software nicht gerade: Trotz wirklich sehr performanter CPU und GPU ruckelt es beim Navigieren durch die Menüs immer wieder leicht, dies trübt den ansonsten flüssigen Gesamteindruck ein wenig. Doch hier ist es, genau wie bei der leicht eingeschränkten Auswahl an Android-Spielen im Market, lediglich eine Frage der Zeit, bis in ein bis zwei Monaten Software genügend optimiert ist. Auch die Möglichkeit an Custom-Roms ist im Moment überschaubar, doch allein schon die Tatsache, dass die Entwickler der Cyanogen Mod schon fleißig an der CM9 basteln, lässt hoffen.
Die Akkuleistung geht voll in Ordnung: Nach intensiver Benutzung (Spielen, Surfen, Suchen und Setzen von Einstellungen) musste ich das Handy über Nacht anhängen, Akkuleistung unter Dauerlast also etwa 5 Stunden. Das ist ein besserer Wert, als ihn mein HTC Desire mit der CM7 erreicht hat, und auch beim Nexus werden Custom-Roms mit Sicherheit noch ein wenig Laufzeit extra herauskitzeln können. Kommen wir zum Fazit:
Pro:
(+) Sehr wertiges Gehäuse, kein Klappern, kein Knarzen
(+) Brilliantes Display, das in Sachen Auflösung, DPI und Farben im Moment zur absoluten Spitzengruppe gehört
(+) Sehr gute Ausstattung (abgesehen vom fehlenden FM-Tuner)
(+) Zukunftssicheres Leistungspaket
(+) Android ist mit Version 4.0 erwachsen geworden (aufgeräumte und durchdachte Oberfläche)
Neutral:
(0) 16 GB Speicher könnten für Musik- und Filmsammler nicht reichen
Kontra:
(-) Kein FM-Tuner!
(-) Ungleichmäßige Displaybeleuchtung
(-) Nur mittelmäßige Kamera
"Vorübergehende" Fehler:
(-) Flüssiger Gesamteindruck wird durch leichtes Ruckeln im Android-UI getrübt
(-) Lagesensor im Android-UI ziemlich träge (Reaktionszeit: bis zu 4 Sekunden)
Fazit:
Das Samsung Galaxy Nexus ist etwas für absolute Highend-Fans. Die Ausstattung ist üppig und die Verarbeitung Spitze, doch kleinere Schnitzer trüben den ansonsten so schönen Gesamteindruck. Ich würde das Handy allen Leuten empfehlen, die bereit sind, für die momentan neueste Handy-Elite auch den entsprechenden Preis zu zahlen. Wer 500 Euro locker machen kann, der erhält ein Smartphone der leistungstechnischen Oberklasse, das mit Sicherheit mindestens 2 Jahre Updatesicherheit mit sich bringt.